28.03.2009

Überbrückung des Gegensatzes "Ich" und "Welt" (R. Steiner)

"Der Überschuss dessen, was wir in den Dingen suchen, über das, was uns unmittelbar gegeben ist, spaltet unser ganzes Wesen in zwei Teile; wir werden uns unseres Gegensatzes zur Welt bewusst. Wir stellen uns als ein selbstständiges Wesen der Welt gegenüber. Das Universum erscheint uns in den zwei Gegensätzen: Ich und Welt.
[...] Aber niemals verlieren wir das Gefühl, dass wir doch zur Welt gehören, dass ein Band besteht, das uns mit ihr verbindet, dass wir nicht ein Wesen außerhalb, sondern innerhalb des Universums sind.
Dieses Gefühl erzeugt das Bestreben, den Gegensatz zu überbrücken. Und in der Überbrückung dieses Gegensatzes besteht im letzten Grunde das ganze geistige Streben der Menschheit. Die Geschichte des geistigen Lebens ist ein fortwährendes Suchen der Einheit zwischen uns und der Welt. Religion, Kunst und Wissenschaft verfolgen gleichermaßen dieses Ziel.
[...] Der Künstler sucht dem Stoffe die Idee seines Ich einzubilden, um das in seinem Innern Lebende mit der Außenwelt zu versöhnen. Auch er fühlt sich unbefriedigt von der bloßen Erscheinungwelt und sucht ihr jenes Mehr einzuformen, das sein Ich, über sie hinausgehend, birgt.
Der Denker sucht nach den Gesetzen derErscheinungen, er strebt denkend zu durchdringen, was er beobachtend erfährt.
Erst wenn wir den Weltinhalt zu unserem Gedankeninhalt gemacht haben, erst dann finden wir den Zusammenhang wieder, aus dem wir selbst uns gelöst haben.
[...]
" Wir leben mitten in ihr (der Natur) und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Die Menschen sind alle in ihr und sie in allen." (Goethe, "Die Natur")

(Rudolf Steiner, "Philosophie der Freiheit -Grundzüge einer modernen Weltanschauung", S. 23 ff.)

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